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Über die Vorbildwirkung der Pflegeleitung

06.08.2015
Sebastian Thieswald über das Spagat der Führungskräfte in Pflegeeinrichtungen

Führungskräfte in Pflegeeinrichtungen haben eine denkbar schwere Aufgabe: Sie müssen die optimale Versorgung der Bewohner sichern, sie müssen mitunter anspruchsvolle Angehörige zufriedenstellen, sie kämpfen mit einem Übermaß an Administration und seit einiger Zeit nun auch noch mit dem Arbeitskräftemangel. Und dieser kann bedrohlich werden, denn ohne qualifiziertes Personal geht nichts. Über das Spagat der Führungskräfte in Pflegeeinrichtungen habe ich mit einem Mann aus der Praxis und mit umfassendem Erfahrungshorizont gesprochen: Sebastian Thieswald, Geschäftsführer von ASPIDA

Er war bereits als Heim- und Verwaltungsleiter bei der Maternus-Kliniken AG tätig, er war Residenzleiter eines Senioren- und Pflege­zentrums, Qualitäts­manage­mentbeauftragter in der Unternehmensgruppe Birkholz sowie in der Geschäftsleitung der SenVital GmbH.

MCM: Herr Thieswald als Consultant und Interimsmanager haben Sie Einblick in viele verschiedene Pflegeeinrichtungen erhalten, welche Mängel und Schwachstellen fallen Ihnen am häufigsten auf?

S. Thieswald: In Puncto Führungskräfte fällt mir leider sehr häufig auf, dass es eine fehlende Nähe zu den Mitarbeitern gibt. Die Führungskraft sollte die Mitarbeiter wirklich sehen und wahrnehmen, ob dieser Mitarbeiter heute mit hängenden Schulten über den Flur läuft oder jene Mitarbeiterin heute ein sehr fröhliches Gesicht macht. Neben dem fachlichen Wissen und Know-how halte ich Empathie in diesem Zusammenhang für das zentrale Element. Und ja, ich glaube, wenn einem die Natur diese Fähigkeit nicht in die Wiege gelegt hat, kann man diese dennoch bis zu einem gewissen Grad lernen.
Ein weiterer Mangel ist die fehlende Präsenz der Führungskräfte, damit einher geht leider auch häufig eine fehlende Transparenz. Viele Fachkräfte, die den Pflegeberuf verlassen, beklagen genau dies: “Wir bekommen unseren Chef fast nie zu Gesicht, wir wissen überhaupt nicht, was er gerade macht.” Dabei wäre es ein Leichtes: Führen sie als Einrichtungsleiter eine Morgenbesprechung ein mit Vertretern aller Teams und besprechen einfach kurz die vergangenen und die kommenden 24 Stunden. Geben sie z.B. bekannt, wann sie außer Haus sein werden, sei es die kommenden zwei Tage auf einer Pflegemesse oder auch nur den Nachmittag aufgrund einer Besprechung. Die Kommunikationsmatrix muss anschließend so funktionieren, dass alle Mitarbeiter informiert werden und gleichzeitig auch alle die Möglichkeit haben, Ihre Anliegen kundzutun. Fehlende Mitbestimmung ist nämlich ein nicht zu unterschätzender Kündigungsgrund vieler Pflegefachkräfte. Durch eine direkte, offene, ehrliche und transparente Kommunikationspolitik hat jeder Mitarbeiter die Chance mitzudenken und mitzugestalten.


Den letzten Punkt, den ich noch anführen möchte, ist das Übermaß an Regularien und ein Zuviel an Qualitätsmanagement. Hier habe ich jedoch die Hoffnung, dass die Initiative Ein-STEP (Einführung des Strukturmodells zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation) endlich eine Entlastung der Pflegekräfte bringt, damit diese endlich wieder mehr Zeit für die Patienten haben und vor allem, dass die Fachlichkeit und die Fähigkeiten der Fachkräfte wieder im Mittelpunkt stehen. Die Krankenbeobachtung kann dadurch nachhaltig erhöht werden.

 

MCM: In diesem Sinne ist also auch Ihr Slogan “Auf die Basis kommt es an” zu verstehen: Die Mitarbeiter müssen mehr be– und geachtet werden?

S. Thieswald: Genau. Basis heißt für mich das Team und das Haus. Ich vergleiche das immer gerne mit einer Uhr. Der große Zeiger ist der Einrichtungsleiter, der kleine Zeiger ist der Pflegeleiter, diese beiden nimmt man wahr. Jetzt drehen Sie die Uhr um und sehen das Uhrwerk, das sind die Mitarbeiter. Ohne diese gut verzahnten Rädchen, bringen Ihnen die wertvollsten Zeiger nichts. Es darf hier also keinen Unterschied in der Wertigkeit geben. Alle sind gleich wichtig, jede Arbeit ist wertvoll. Stellen Sie sich vor, Sie fahren 6 Stunden, um eine Fleischerei zu besuchen, um dort einen Vertrag abzuschließen. Wo gehen Sie vermutlich als erstes hin? Genau, mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Toilette. Das ist Ihr erster Eindruck, die Visitenkarte, wenn Sie so wollen. Legen die Führungskräfte Wert darauf, dass hier vielleicht eine nette Deko oder frische Blumen stehen, dass es gut riecht und ordentlich geputzt wurde, dann wird hier auch auf Kleinigkeiten geachtet. Kleinigkeiten, die von großer Bedeutung sind. Inzwischen wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein positiver erster Eindruck, in diesem Beispiel also die Toilette, Geschäftsleute bis zu 25% mehr investieren lässt.

 

MCM: Welche Tipps möchten Sie den Führungskräften ans Herz legen, wenn es um die Verbesserung der Teamarbeit geht?

S. Thieswald: Das Bewusstsein über die Vorbildwirkung der Leitung ist in diesem Zusammenhang von weitreichender Bedeutung. Das heißt, wenn der Chef großen Wert auf eine gute Kommunikation legt und dies auch vorlebt, wird sich das auf die Teamarbeit auswirken. In Pflegeeinrichtungen braucht es einfach eine Kultur des aufeinander Hörens und des sich gegenseitig Informierens. Dies fällt leichter, wenn es flache Hierarchien und eine klare Orientierung durch den Chef gibt. In der Praxis bedeutet dies z.B. wenn die Führungskraft keine Zeit für die Morgenbesprechung hat, muss klar sein, dass sich die Mitarbeiter um das kümmern, was er knapp kommuniziert hat. Wenn am Tag darauf dann Zeit ist, müssen die Belange der Mitarbeiter besprochen werden. Einrichtungsleiter sollten ihren Mitarbeitern auf jeden Fall die Chance geben, Ideen einzubringen, denn wenn diese umgesetzt werden, zeigt das den Mitarbeitern, dass sie wertvoll sind. Eine Diakonissin, meine damalige Chefin, die mich sehr gut erkannte und förderte, Sw. Renate Stärker, von den Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg sagte mir einmal einen schönen Spruch: Träume einen Menschen, wie er heut noch nicht ist, denn nur wenn er geträumt wird, hat er eine Chance zu wachsen. Das ist doch ein wunderbares Motto für jede Teamarbeit.

 

MCM: Bei großen Einrichtungen und Ketten, welche Aufgaben sollte Ihrer Meinung nach die Personalabteilung in Bezug auf die Mitarbeiterbindung übernehmen?

S. Thieswald: Es wäre wünschenswert, wenn die Personalabteilung die Chefs bezüglich der Mitarbeiterbindung unterstützen und schulen könnte. In der Pflege gibt es nun einmal kein familienfreundliches Unternehmen. Der Trend geht hier zur Teilzeitarbeit. Es geht also darum, Ideen zu entwickeln, wie man für zufriedene Mitarbeiter sorgen kann, denn zufriedene Mitarbeiter bleiben gern im Unternehmen. Es gibt zum Beispiel Einrichtungen, die ein Mitarbeiter-Buffet anbieten, denn ein zufriedener Magen pflegt besser. Andere Einrichtungen übernehmen einen Teil der Kita-Gebühren oder bieten Dienstwagen zu einem günstigen Monatstarif an. Ein anderes Beispiel: Eine 40-jährige Pflegerin kommt nach 6-jähriger Erziehungspause zurück, normalerweise wird ihr eine 14-tägige Einarbeitungszeit gewährt, weil es aber einem Kollegen aus ihrem Team nicht gut geht und dieser ausfällt, ist dies alles hinfällig. Die Pflegerin muss jetzt sogar zusätzliche Arbeit übernehmen. Damit solche Dinge nicht passieren, gibt es Einrichtungen, die ihren neuen Mitarbeitern einen Button mit den Schriftzug “neu im Team” anbieten. Diesen dürfen die neuen 6 Monate tragen und haben damit die Garantie, dass man sie besonders begleitet, ein Auge auf sie hat und ihnen Zeit gibt. Es gibt keine bessere Litfaßsäule für eine Einrichtung als einen zufriedenen Mitarbeiter. Postet dagegen ein gekündigter Mitarbeiter eine negative Schlagzeile auf Facebook, können Sie sicher sein, dass es innerhalb von 10 Minuten 40‍ Kommentare hagelt.

 

Herr Thieswald, herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit ASPIDA.

Wir haben Herrn Thieswald auf dem Internationalen Gesundheitskongress von Springer Medizin kennengelernt.




geschrieben von Vera Babilon