Tue Gutes und lass andere darüber reden. So lautete das Mantra vor 10 Jahren, als die ersten Unternehmen begannen, in den sozialen Medien für ihre Arbeitgebermarke zu werben. Employerbranding hieß das Gebot der Stunde. Die Deutsche Employer Branding Akademie und Great Place To Work widmeten sich bereits der Unternehmenskultur, unsere ersten Medical Recruiting Konferenzen mit dem Schwerpunkt Social Recruiting und Employer Branding fanden statt und jedes Unternehmen wollte seine Arbeitgeberpersönlichkeit in den schillerndsten Farben leuchten lassen. Doch wie sieht es heute in der Gesundheitsbranche aus? Gibt es tatsächlich zu wenig Bewusstsein für die Bedeutung von Employer Branding und Personalmarketing?
Employer Branding – mehr als nur Marketing
Die Antwort lautet ja und nein. Unternehmen, denen damals schon klar war, dass ihnen über kurz oder lang das Personal abhanden käme, wenn sie nichts an ihrer Unternehmenskultur ändern, stehen besser da als diejenigen, die Employer Branding als reine Kosmetik verstanden, und heute große Probleme haben. Der Segen der sozialen Netzwerke war nämlich gleichzeitig auch Fluch. Hinter den Kulissen, genauer gesagt, in den Bewertungsportalen, begannen die Menschen über ihr Unternehmen zu sprechen und nahmen dabei kein Blatt vor den Mund. Dies hatte fatale Folgen, denn wer einmal in der Abwärtsschleife der Negativbewertungen steckte, kam so leicht nicht wieder heraus. Auch wenn das eine oder andere Krankenhaus begann, gute Kampagnen für Stellenanzeigen zu launchen, erntete es im schlimmsten Fall Shitstorms, weil Anspruch und Realität nicht übereinstimmten. Diesen Zusammenhang haben die meisten Klinikbetreiber heute verstanden, das Recruiting sowieso. Für große Würfe in Sachen Employer Branding, das meist tiefe Eingriffe in die Unternehmenskultur erfordert, fehlt aber oft das Geld oder, ironischerweise, das Personal.
Von anderen lernen
Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auf andere Wirtschaftszweige verwiesen, von denen die Gesundheitsbranche „lernen“ könne. Nehmen wir ein Beispiel, das in der letzten Ausgabe der DGFP* vorgestellt wurde: Porsche. Die aktuelle Employer Branding Kampagne stellt den Mensch in den Mittelpunkt und ist an den Begriffen „Herzblut, Pioniergeist, Sportlichkeit, Eine Familie“ aufgehängt. Werte, die im Unternehmen aber auch gelebt werden. Die Mitarbeitenden können sich damit identifizieren, es ist authentisch, glaubwürdig und im Prinzip ein großes Crowdsourcing Projekt, hinter dem alle stehen und auf das alle stolz sind. Allerdings hat das Unternehmen einiges investiert, um seinem Kulturleitbild ein Gesicht zu geben. Fotografiert hat die Kampagne die Dokumentarfotografin Jane Stockdale, die bereits 2014 mit hochemotionalen Fotos während der Fußball WM aufgefallen war. *Deutsche Gesellschaft für Personalführung
Krankenhausstrukturen und Unternehmenskultur
Beispiele wie diese sind in Krankenhäusern die absolute Ausnahme und das liegt nicht allein an der fehlenden Einsicht. Hinzu kommt ein strukturelles Problem. Auch heute noch ist die Unternehmenskultur häufig von einem verwaltungsorientierten Managementverständnis und komplexen politischen Abstimmungsprozessen geprägt.
Bis vor einigen Jahren hatte das noch keinen gravierenden Einfluss auf die Personalsituation. Es waren irgendwie immer genug Menschen da, die in der Pflege arbeiten wollten und die Krankenhäuser wurden bezahlt, solange nur ihre Betten belegt waren. Heute ächzen die Unternehmen unter der Ökonomisierung, die 16 Jahre nach Einführung der DRG viele Häuser in den wirtschaftlichen Ruin treibt: wenn sie Leistungen vorhalten, die zwar der Daseinsvorsorge dienen, aber nicht genug Rendite abwerfen. Dies ist auf der Website Kliniksterben in Echtzeit zu beobachten. Der „doppelte demografische Wandel“, der so bezeichnet wird, weil einer immer größer werdenden Anzahl pflegebedürftiger Menschen eine immer kleinere Anzahl von Pflegekräften gegenüberstehen, erschwert die Lage noch. Es vergeht keine Woche, in der nicht davon die Rede ist, dass Abteilungen oder gleich ganze Krankenhäuser schließen. Die Bertelsmann Studie mit ihrer Forderung nach einer Halbierung der Anzahl der Krankenhäuser hat die Stimmung nicht gerade verbessert – und trägt damit fatalerweise zur Verunsicherung von Berufsanfängern bei.
Ob diese Probleme, die auf jahrzehntelange politische Entscheidungen zurückzuführen sind, mit Employer Branding gelöst werden können, ist fraglich. Man könnte es auch so sehen: Eine ganze Branche, die historisch aus dem Selbstverständnis des Stakeholder Values – der Werteorientierung für viele - entstanden ist, wurde im Zeitraffer in die Welt des Shareholder Kapitalismus transferiert. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was das für die Unternehmenskultur bedeutet. Unsere Pflegecommunity auf Facebook spricht seit 10 Jahen davon. Ein Kenner der Krankenhausszene, Internist und zuweisender Arzt in einer prosperierenden Region in Süddeutschland, sagte mir neulich: „Die fahren das Haus (dessen Name hier nicht genannt sein soll) gerade personell an die Wand“. Es handelte sich dabei um einen Standort eines großen Klinikkonzerns, der zu diesem Zeitpunkt eine aufwändige neue Kampagne für Stellenanzeigen gelauncht hatte. Die Kununu Bewertungen für diesen Standort fielen allerdings verheerend aus. Ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte, aber leider kein Einzelfall.
Werteorientierung – die Chance für die Zukunft
Worum geht es heute in der Arbeitswelt? Nach wie vor natürlich um Existenzsicherung - aber nicht mehr um jeden Preis. Es ist bekannt, dass gerade die Millenials eine Aufgabe in ihr Leben integrieren wollen (und nicht umgekehrt!), die sinnvoll ist, mit der sie etwas bewegen können, ja auch, mit der sie die Welt ein Stück weit besser machen können. Wir alle wissen, dass das ernst zu nehmende und wichtige Motive sind. Dass Konzepte wie New Work - hier unser Beitrag dazu - nicht eins zu eins in der Pflege umzusetzen sind, ist verständlich. Man könnte aber fragen, warum diese Suche nach Sinn ausgerechnet in der Gesundheitsbranche nicht zum zentralen Bestandteil der Unternehmenskultur gemacht wird. Hier geht es schließlich nicht um Maschinen, sondern um Menschen, nicht um Algorithmen, sondern um Beziehungen. Darin liegt eine riesige Chance. Gerade die Beziehungsebene kommt aber vor dem Hintergrund der von vielen Akteuren als brutal empfundenen Ökonomisierung viel zu kurz. Auf einem der letzten Springer Pflege Kongresse in Berlin brachte es jemand auf dem hochkarätig besetzten Podium auf den Punkt. Sinngemäß hieß es: „Pflegende sind zutiefst frustriert, weil eine auf den Menschen bezogene, beziehungsorientierte Pflege eigentlich kaum noch möglich ist. Das halten viele nicht lange aus.“ Was dazu führt, dass die Verweildauer im Beruf im Schnitt bei etwa 5 Jahren liegen soll und immens hohe Fluktuationsraten die Regel sind. Die Ärzte sind dabei gar nicht mal das Problem. Alleine in unserer Talentpipeline von MOG Ärztevermittlung befinden sich jede Menge hochqualifizierter und hoch motivierter Ärztinnen und Ärzte. Viele von Ihnen warten aufgrund langwieriger Anerkennungsprozesse auf ihren Einsatz.
Geld spielt eine Rolle
Aber auch die Gehaltsfrage sollte in den Fokus genommen werden. Ein Thema, bei dem sich vor allem Kommunalpolitiker winden. Sie müssen politisch durchsetzen, dass Pflege, ein ursprünglich typischer und dementsprechend schlecht bezahlter Frauenberuf, eine hoch anspruchsvolle, von hoher Verantwortung geprägte Tätigkeit ist, bei der es mit einem besseren „vergelt´s Gott“ nicht mehr getan ist. So lange eine Bandarbeiterin bei Daimler deutlich mehr verdient, als ein Krankenpfleger in einem Stuttgarter Krankenhaus, muss man sich nicht wundern, wenn die Berufswahl dann eben nicht zu Gunsten der Pflege ausfällt und wenn immer mehr Pflegekräfte lieber als Honorarkräfte, als in Festanstellung arbeiten. Es sind auch nicht mehr nur die strukturschwachen Standorte, denen das Personal fehlt: In München machen Stationen zu, weil sich Pflegekräfte bei dem derzeitigen Mietspiegel nicht mehr leisten können, in dieser Stadt zu arbeiten. (Nur am Rande sei erwähnt, dass Google gerade 1.500 neue Mitarbeitende für seinen neuen Münchner Standort sucht. Mit Einstiegsgehältern, die jede und jeden CFO eines Krankenhauses erblassen lassen.)
Raum geben für Kreativität und Ideen
Die Realität wirft viele Probleme auf. Welche Lösungen könnten hier greifen? Zunächst einmal muss das Thema Unternehmenskultur mit höchster Priorität behandelt werden. Es gibt bereits viele gute Ansätze und Menschen, die Ideen haben, HR Managerinnen und Manager, die genau wissen, wie es funktionieren könnte. Ihnen sollte man Raum geben – und die nötigen finanziellen Ressourcen. Die Gehaltsstrukturen in der Pflege müssen sich langfristig mit denen in der Wirtschaft vergleichen lassen. Es muss allen Akteurinnen und Akteuren klar sein, dass es sehr teuer werden wird, wenn man nachhaltig etwas bewegen will. Noch teurer wird es allerdings, wenn die Versorgungsstrukturen zusammenbrechen. (Ja, es hat ein bisschen was vom Klimawandel.) Bei den Hebammen sieht man, was passiert, wenn die Politik einen ganzen Berufsstand kaputtmacht.
Fazit: Langfristig müssen sich Krankenhäuser als Arbeitgeber dem Wettbewerb mit Google, Daimler oder Porsche stellen. Und zwar sowohl, was die Arbeitsbedingungen als auch die Gehaltsstrukturen angeht. Wenn das gelingt, kann daraus ein Projekt werden, das einmalig ist und der Pflege einen Platz ganz oben auf der Skala der beliebtesten Berufe einräumt.
Vielen Dank also an die Initiator/innen und Unterstützer/innen der #healthparade: Als Recruiting- und Employer Branding Fans sind wir mit Begeisterung dabei, wenn es heißt SOAK UP THE SUN!